IFAMD Marktbemerkung 2012.04

Wie man einen wettbewerbsgerechten Benzinpreis erreichen kann

Aktuell sind wieder die Benzinpreise in Diskussion. In Australien und Österreich hat der Gesetzgeber Regeln für Preisanpassungen eingeführt, um den Wettbewerb unter den Tankstellen anzuregen. In Deutschland wird die Einführung ähnlicher Regeln, aber auch die Maximierung der Preistransparenz diskutiert. IFAMD erklärt, warum aus spieltheoretischer Sicht zusätzliche Markttransparenz kontraproduktiv ist und wie man die in Australien und Österreich geltende Preisanpassungsregel erweitern sollte, damit sie noch besser wirkt.

Der Benzinmarkt ist ein „kollusiver Markt“, d.h. die Anbieter koordinieren ihre Preisfindung in Richtung höherer Margen. Unter Wettbewerbern in vielen Märkten funktioniert das sehr gut auch ohne explizit miteinander zu sprechen. Die Spieltheorie diskutiert die Eigenschaften eines Marktes, die beeinflussen, ob der Markt kollusive Tendenzen der Marktteilnehmer stützt, oder nicht. Dabei ist einfach nur zu untersuchen, ob die erzielbaren Gewinne bei kollusivem Verhalten höher oder niedriger sind als die erzielbaren Gewinne bei Abweichung von der Kollusion. Solange die Abweichung aus der Kollusion (d.h. Preissenkung – das, was der Verbraucher und die Politik auf dem Benzinmarkt gerne sehen möchten) weniger attraktiv ist, als die Gewinne bei Kollusion, wird sich kein Anbieter von Benzin freiwillig dazu bewegen lassen.

Spannend ist der Blick eine Ebene tiefer in die spieltheoretische Diskussion. Es sind nämlich genau drei Eigenschaften eine Marktes, die die Attraktivität von Kollusion bzw. Abweichung beeinflussen. Diese sind:

  •  Anzahl der Marktteilnehmer
  • Transparenz der Preise
  • Frequenz der Preis- und Kaufentscheidungen

Dabei sind kollusive Tendenzen in einem Markt umso höher, je

  • geringer die Zahl der Marktteilnehmer
  • transparenter die Preise
  •  häufiger die Preis- und Kaufentscheidungen

sind. Eine stillschweigende Koordination auf höhere Margen funktioniere also umso besser, je weniger Anbieter vorhanden sind – das ist geradezu eine banale Beobachtung. Man kann auch sagen: Je mehr Wettbewerber, desto mehr Wettbewerb. Bezogen auf dem Benzinmarkt heißt das nur, was ohnehin klar ist: Die kleinen Tankstellen müssen gestärkt werden, denn sie sind das Salz in der Suppe des Wettbewerbs unter den großen Ketten. Soweit, so klar, und wir werden darauf auch noch einmal zurückkommen.

Das mit der Transparenz der Preise ist da schon schwieriger. In der aktuell öffentlich geführten Diskussion scheint tatsächlich die Meinung vorzuherrschen, dass Transparenz automatisch Wettbewerb fördert. In kollusiven Märkten ist aber genau das Gegenteil der Fall: Transparenz macht es den Anbietern nur noch einfacher, sich stillschweigend zu koordinieren! Wenn nämlich eine Tankstelle ihren Preis senkt (in der Sprache der Spieltheorie „von der Kollusion abweicht“), dann sehen die Wettbewerber dies sofort und können unmittelbar reagieren. Der Effekt ist aber eben nicht, wie viele glauben, dass die anderen Tankstellen dann auch den Preis senken und der Wettbewerb bzw. der Preiskampf beginnt. Nein, im Gegenteil, der Effekt ist, dass schon die erste Tankstelle den Preis nicht senkt, weil sie weiß, dass die anderen auch nur den Preis senken würden und danach der Marktanteil aller Tankstellen wieder der gleiche wäre, aber bei niedrigeren Preisen. Deshalb senkt schon die erste Tankstelle den Preis nicht – weil sie es eben nicht vom Wettbewerb unbeobachtet tun kann. Das ist das Problem mit der Tansparenz, für das bis heute auf dem Benzinmarkt keine praktikable Lösung diskutiert wird. Die Transparenz noch weiter zu erhöhen ist auf jeden Fall genau die falsche Maßnahme.

Spannend für den Benzinmarkt ist allein der Aspekt der Häufigkeit von Kauf- und Preisentscheidungen. Was die reine Kaufentscheidung angeht, so findet diese deutschlandweit betrachtet wohl alle paar Sekunden an irgendwelchen Zapfsäulen statt – eine höhere Entscheidungsfrequenz kann ein Markt kaum haben. Zusammen mit der offensichtlichen Transparenz des Benzinmarktes (Preistafeln an jeder Straße – transparenter kann ein Markt eh schon kaum mehr sein) ist klar, dass der Benzinmarkt maximal kollusiv sein muss. Spieltheoretiker wundern sich nicht über hohe Spritpreise, ein extremerer Markt ist kaum vorstellbar. Das sich ständig wiederholende Spiel führt nämlich schlicht dazu, dass ein Abweichen aus der Kollusion nur sehr wenig Vorteil bringt. Schon nach wenigen für sich entschiedenen Kaufentscheidungen zieht der Wettbewerb mit und der Marktanteil ist wieder der alte. Also ist es attraktiver, in der Kollusion zu verharren und die Preise hoch zu halten. Der fatale Mechanismus funktioniert sogar umgekehrt, zu beobachten vor jedem Ferienbeginn: Wenn eine Tankstelle den Preis erhöht, verliert sie zwar kurzzeitig Marktanteil. Die anderen Tankstellen fassen diese Erhöhung aber gerne als Einladung zu höheren Preisen auf und erhöhen zügig mit, denn der alte Marktanteil zu höheren Preisen ist noch attraktiver als der höhere Marktanteil zu alten Preisen. Warum können wir das behaupten, ohne uns Gedanken zu machen über Preiselastizitäten oder Preis-Absatz-Kurven in diesem Markt? Ganz einfach mit dem spieltheoretischen Argument, dass die einladende Tankstelle andernfalls sehr zügig, binnen ein- zwei Stunden in der Praxis, ihren Preis wieder reduzieren würde, wenn die anderen Tankstellen nicht folgen. Die fatale Erkenntnis aus dieser Beobachtung: Der Benzinpreis muss geradezu aus dem intrinsischen Mechanismus seines Marktes heraus immer an der Oberkannte des irgendwie akzeptablen Niveaus sein – andernfalls würden die Marktteilnehmer nicht rational agieren.

Sie kennen eventuell diese Kettenmails, die immer mal wieder um die Welt gehen mit der Aufforderung, einen einzelnen Mineralölkonzern abzustrafen für sein Preisverhalten am Benzinmarkt (oder auch für Umweltsünden) indem man als Autofahrer kollektiv diese Tankstellenkette meiden sollte. Das könnte in der Tat ein wirksames Mittel sein, denn es greift genau an bei der Frequenz der Kaufentscheidung am Benzinmarkt. Das ist quasi der einzige Hebel, der uns noch geblieben ist. Allerdings ist die Kettenmail aus Kanada, die mir einmal vor ein paar Jahren unter gekommen ist, um ein wesentliches Detail zu kurz gesprungen: Alle Leser der E-Mail waren aufgefordert, Tankstellen eines bestimmten Mineralölkonzerns zu meiden, bis dieser endlich seine Preise senken würde. Es war aber kein Kriterium genannt, an dem alle Teilnehmer des koordinierten Kaufentscheidungsverhaltens hätten erkennen können, dass das Ziel der Aktion erreicht sein würde. Schließlich will man als Autofahrer ja dann auch irgendwann wieder auch bei dieser Tankstellenkette tanken, nämlich zu den dann reduzierten Preisen, um von der Aktion zu profitieren. Doch ab wann genau soll das geschehen? Die meisten Teilnehmer der Aktion hatten sicher nicht die Geduld, ein wirklich gutes Ergebnis abzuwarten und tankten unkoordiniert schon zu minimal günstigeren Preisen wieder bei der betreffenden Kette, was die Aktion sofort verwässerte und ad absurdum führte.

Das einzige wirklich erfolgversprechende Mittel gegen die Kollusion der Tankstellen hat in der Tat die Regulierungsbehörde in West-Australien gefunden: Die Frequenz der Preissetzung seitens der Tankstellen ist zu regulieren, indem man diese nur z.B. mittags um Zwölf einmal am Tag verändern darf. In Österreich lautet die Regel, dass der Preis nur einmal am Tag nach oben verändert werden darf. Nach unten korrigieren dürfen Tankstellen ihn immer, denn das will man ja erreichen. Aber genau das ist das Problem! Die oben beschriebene Argumentation, warum keine Tankstelle freiwillig die Preise senkt, funktioniert auch in Österreich nach wie vor: Schon nach kurzer Zeit würden alle anderen Tankstellen der Umgebung mitziehen, alle hätten wieder den gleichen Marktanteil zu für alle niedrigeren Preisen, das lassen sie lieber von Anfang an sein. Und sogar der oben beschriebene Mechanismus der koordinierten Preisanhebung bis zum gerade noch akzeptablen Niveau funktioniert immer noch: Die einladende Tankstelle muss nur über mehrere Tage öfter ihre Einladung zu höheren Preisen an den Wettbewerb signalisieren. Sollte der Wettbewerb jeweils nicht mitziehen, kann die einladende Tankstelle jederzeit den hohen Preis wieder zurückziehen und z.B. schon am frühen Nachmittag wieder senken, ohne große Verluste an diesem Tag erlitten zu haben. Wiederholt sie dieses Spiel an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen, werden auch die anderen Tankstellen in der Umgebung der Einladung irgendwann folgen. Der Mechanismus funktioniert also genauso wie er auch ohne Marktregulierung funktioniert hat, nur nicht mehr ganz so schnell.

Eine sehr viel wirkungsvollere Marktregulierung muss also lauten: Die Tankstellen dürfen nur einmal am Tag, etwa mittags um Zwölf, den Preis verändern (egal, ob steigern oder senken!). Erst dann wird es für eine Tankstelle wirklich teuer, einen zu hohen Preis gesetzt zu haben, da sie ihn tatsächlich 24 Stunden lang nicht nach unten korrigieren darf. Sie muss mindestens einen Tag lang auf Marktanteil verzichtet. An dieser Stelle kann und sollte in einem detaillierter ausgetrimmten Mechanismus auch noch zwischen großen Tankstellenketten und kleinen Tankstellen unterschieden werden, indem z.B. kleine Tankstellen jeden Tag, eine große Kette aber nur einmal pro Woche den Preis ändern darf.

Gerne würden wir einmal an empirischen Daten aus Österreich unsere These zum Pricing-Verhalten von Tankstellen untersuchen – eine entsprechende Studie würde aber sicher von keiner großen Tankstellenkette finanziert werden!

Dr. Gregor Berz
IFAMD Institut