IFAMD Marktbemerkung 2022.05

Warum Gasauktionen im Kontext eines Energieembargos politisches Minenfeld sind

Im Februar 2022 hat Russland die Ukraine überfallen und sich international weitgehend isoliert. Neben der militärischen Auseinandersetzung der beiden Länder tobt seither zum Zeitpunkt dieser Marktbemerkung schon seit zehn Wochen ein Wirtschaftskrieg, in dem die westliche Welt geschlossen immer weitere Sanktionen gegenüber Russland ausspricht. Besonders kritisch ist dabei die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, ohne dem kurzfristig in Europa mit rezensionsartigen Zuständen zu rechnen ist. Die große Frage ist, ob der Regulierer eingreifen muss, um das verbleibende Gas zu verteilen.

In normalen Zeiten regelt der Gasmarkt die Allokation: Angebot und Nachfrage justieren den Marktpreis so dass genau der Bedarf derjenigen Abnehmer gedeckt wird, deren Zahlungsbereitschaft den Marktpreis übersteigt. Auf dieser Basis kommen privatwirtschaftliche Lieferverträge zustande zwischen z.B. Abnehmern im Westen und Lieferanten in Russland. Abgesehen von der Definition rechtlicher Rahmenbedingungen ist an diesem Geschäft der Staat nicht beteiligt – zumindest ist das im Westen so. Man denke nur an die berühmte Aussage der Politik noch vor einem Jahr, Nordstream 2 sei eine „privatwirtschaftliche Angelegenheit“. Spätestens jetzt aber, wenn der Staat ein Embargo ausspricht, greift er in privatwirtschaftliche Vertragsverhältnisse ein und muss den Schaden gering halten, der dabei entsteht.

Auf den ersten Blick muss der Staat Ausgleichzahlungen an die betroffenen Unternehmen leisten – vergleichbar mit dem Ausstieg aus Atom und Kohle. Dort, beim Ausstieg aus Energietechnologien, stellt sich die Frage welche Kraftwerke zuerst abgeschaltet werden sollen und welche noch etwas länger am Netz bleiben. Diese Allokation wird mit Auktionen ermittelt, die den Energieerzeugern die Möglichkeit geben, auf Ausgleichzahlungen für einen frühzeitigen Ausstieg zu bieten. Wer für eine geringere Ausgleichzahlung aussteigt, bekommt diesen Deal mit dem Staat. Der große Unterschied zum Gasembargo ist, dass die Teilnahme an der Kraftwerk-Stilllegung-Auktion freiwillig ist: Energieerzeuger, die daran nicht teilnehmen oder als Bieter unterlegen sind, gehen nicht „leer aus“ sondern belieben einfach mit ihrem Kraftwerk noch am Netz und die Politik muss sich andere Maßnahmen einfallen lassen, um auch diese vom Netz zu bekommen. Es handelt sich übrigens bei den Gewinnern solcher Ausstiegsauktionen nicht etwa um die effizienteren Kraftwerke, wie man es bei Auktionen im ersten Gedanken erwarten würde, sondern im Gegenteil: Es sind die effizienteren Kraftwerke, die eine höhere Ausgleichzahlung erfordern, weil sie eben für sich die höhere Rendite erwirtschaften. Die weniger effizienten Kraftwerke können mit geringeren Ausgleichzahlungen zufrieden gestellt werden.

Das Gasembargo stellt eine ähnliche Herausforderung dar, allerdings mit einem kleinen Unterschied, der wie so oft in der Spieltheorie den großen Unterschied macht: Die betroffenen Unternehmen können nicht durch eine Auktion ermittelt werden, sondern sind von Anfang an evident. Der Bestand an vom Embargo betroffenen privatwirtschaftlichen Lieferverträgen lässt sich auf dem Papier der Verträge ablesen. Die Frage ist natürlich auch hier, wie viel der Staat als Ausgleichszahlung zu leisten hat. Es handelt sich dabei nicht etwa um den Gaspreis, der im

Liefervertrag vereinbart war, sondern vielmehr um die weitergehende Wertschöpfung, die das abnehmende Unternehmen mit dem Gas erwirtschaftet und vereinnahmt hätte. Diese zu ermitteln ist nicht einfach. Tatsache ist aber, dass, im Unterschied zum Energieausstieg, alle betroffenen Unternehmen ultimativ betroffen sind, denn ihr Liefervertrag wird bei einem Embargo per sofort gekappt.

Am einfachsten ist die Ausgleichszahlung durch den Staat natürlich zu leisten, wenn er sie nicht mit Geld, sondern mit Gas leistet. Wieviel der Staat dabei an einen neuen Lieferanten zahlt ist letztlich sein Problem. Deshalb reist Wirtschaftsminister Harbeck zur Zeit um die Welt um Gasquellen zu finden: Jeder Kubikmeter Gas, den er auftreibt, entbindet ihn von einem Kubikmeter, für den er bei einem betroffenen Abnehmer eine Ausgleichszahlung leisten muss. Da er ziemlich sicher nicht den kompletten Ausfall aus alternativen Quellen finden wird, ist die Allokation natürlich weiterhin eine Herausforderung. Die effizienteren Unternehmen, die höhere Ausgleichszahlungen fordern können, sollte der Staat mit Gas bedenken und den weniger effizienten Unternehmen die Ausgleichszahlung leisten. Aktuell werden Unternehmen nach ihren Ausgleichszahlungs-Forderungen befragt – würde diese Abfrage bereits mit Entscheidungsverbindlichkeit gekoppelt, wäre es eine pay-as-bid Auktion, die beides liefert: Die Allokation des knappen Gases und die Ausgleichzahlung an diejenigen, die – das Gas selbst betreffend – leer ausgehen. Eine solche Auktion hätte allerdings extrem hohe Anreize zur impliziten Kollusion, d.h. alle Unternehmen würden reflexartig überhöhte Ausgleichszahlungen fordern und das Ergebnis wäre für den Staat ein Fiasko.

In dieser Situation schlagen nun die renommierten Professoren Cramton, Wambach und Ockenfels von der Uni Köln in einem Gastkommentar im Handelsblatt am 2.5.2022 – der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, denkt auch schon laut darüber nach – eine „Auktion um Gasbezugsrechte“ vor. Wer mehr dafür bezahlt, soll weiter Gas beziehen dürfen, die anderen gehen leer aus. Das stellt natürlich das oben Beschriebene völlig auf den Kopf. Es handelt sich bei diesem Vorschlag eben nicht um das Analogon zur Kohle-Ausstiegs-Auktion, sondern um eine einfache Veräußerungsauktion, in einem Verkäufermarkt um knappes Gas.

Was den weiteren Bezug von in Zukunft knappem Gas aus Bezugsquellen außerhalb Russland angeht, wird der Markt wie eingangs beschrieben ohnehin die Allokation im effizienten Sinne regeln und es bedarf keiner gesonderten Auktionen, um diese Allokation zu leisten. Das darf gerne an den Industriegütermarkt erinnern, in dem auch dann, wenn sich Märkte zu Verkäufermärkten drehen, keine Veräußerungsauktionen sattfinden. Das Geschäftsmodell der Lieferanten ist per se nicht auf Knappheit ausgerichtet (implizite Kollusion hier ausdrücklich ausgenommen) und kann skaliert werden, sobald sich Abnehmer finden. Für Gaslieferanten gilt das selbe, immerhin bereist Herr Harbeck genau deshalb zur Zeit die Welt.

Das eigentliche Problem, das sich ergibt solange das Embargo noch nicht zu 100% umgesetzt ist, besteht in der höheren Marge pro Kubikmeter, die in einem Markt mit knappem Gasangebot erzielt wird. So nimmt heute angeblich Russland – wo die Grenzen zwischen Privatwirtschaft und Staat beliebig verwischen – absolut in Summe mehr Geld ein als vor dem „Wirtschaftskrieg“, für heute schon sehr viel weniger Gaslieferungen. Dies zu unterbinden ist die erste Anforderung an den Regulierer. Gasauktionen sind hierfür keine Lösung, denn sie treiben den Preis im Zweifel nur noch weiter nach oben. Die eigentliche Frage ist, wer den höheren Gaspreis vereinnahmt – unabhängig davon ob mit Auktionen oder einfach am freien Markt ermittelt.

Was die Zuteilung des knappen Gases unter den vom Embargo betroffenen Unternehmen angeht ist die Idee solcher Auktionen keineswegs „sexy“, wie man als Ökonom gerne glauben möchte. Aus der Praxis wissen wir, dass Auktionen im gleichen Maße, in dem sie für den Auktionator sexy sind, für den Bieter puren Stress bedeuten. Warum soll ein vom Embargo betroffenes Unternehmen jetzt auch noch um Restbestände bieten müssen und muss damit rechnen „leer auszugehen“, wenn es unterlegen ist? Das ist – bezüglich der durch das Embargo gekappten Bestandsverträge – in hohem Maße ungerecht und entspricht nicht den Ansprüchen der betroffenen Unternehmen, die durch das staatliche Embargo ausgelöst wurden. Der Staat aber muss Sorge dafür tragen, das systemrelevanter Gasbedarf – im weitesten Sinne kann man dazu ggf. auch den privaten Bedarf zählen, wenn der ganze Sinn und Zweck des Systems darin besteht, privaten Wohlstand zu generieren – weiter bedient wird. Diese Allokationsentscheidung wird am Ende vermutlich immer – genau wie das Embargo selbst – eine politische Entscheidung bleiben müssen, so sehr das uns ökonomisch Denkende widerstreben mag.

Dr. Gregor Berz

IFAMD GmbH, 4. Mai 2022