IFAMD Marktbemerkung 2013.06

Wie ein intelligentes Strommarktdesign die 100%-Versorung durch erneuerbare Energie beschleunigt

Das IFAMD Institut schlägt ein Strommarktdesign vor, das auf dem Weg zur hundertprozentigen Versorgung mit erneuerbarer Energie die Wahl des effizienten Kraftwerktechnologien-Mix marktwirtschaftlich gestaltet und damit Versorgungs- und Planungssicherheit wieder herstellt.

Eine hundertprozentige Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ist möglich, sagen die einen. Das kostet uns alle sehr viel, sagen die anderen. Mehr oder weniger und früher oder später werden beide Seiten Recht behalten. Die Frage ist nur wie früh die Energiewende abgeschlossen sein wird und wie viel sie uns kostet.

Erneuerbare Energien sind sogenannte darbietungsabhängige Energien, d.h. sie stehen nur zu Verfügung, während genügend Wind weht, genügend Sonne scheint und genügend Regen die Stauseen gefüllt hat. Die erneuerbare Energie alleine kann also nicht langfristig geplant und vermarktet werden, sondern steht nur kurzfristig zu Verfügung. Sich zu hundert Prozent auf erneuerbare Energien zu verlassen bedeutet für den Strommarkt, sich kurzfristig schwankendem Über- und Unterangebot auszuliefern. Daraus resultieren stark schwankende Preise und geringe Planungssicherheit, bis hin zu unkalkulierbaren Blackout-Risiken.

Schon heute ist unser Strommarkt von relativ hohem Handelsvolumen am kurzfristigen Markt geprägt: Das hohe Angebot extrem billiger erneuerbarer Energie ist sehr verlockend für Stromversorgungsunternehmen, die auf Margen nach dem Einkauf billiger Energie am Spotmarkt setzen. Erneuerbare Energie ist, wenn sie dargeboten ist, unschlagbar: Die Grenzkosten sind nahezu Null und damit haben andere Anbieter keine Chance. Das eigentlich „teure“ an der erneuerbaren Energie aber ist das Risiko, ob und wann sie genau dargeboten wird. Das gesamte Stromnetz hängt dann nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich vom Wetter ab.

Ein Szenario hundertprozentiger Versorgung mit erneuerbaren Energien ohne diese hohe Marktvolatilität kann theoretisch nur mit der Bereitstellung ausreichender Speicherkapazitäten erreicht werden. Der Strom wird bei Überangebot gespeichert  und steht bei Unterangebot zu Verfügung. Technisch stehen dafür heute nur ungenügend Speichertechnologien zu Verfügung, an genau dieser Stelle wird mit großen Fortschritten geforscht. Die Betreiber solcher Speicherkapazitäten werden, wenn sie einmal ausreichend zu Verfügung stehen, auf dem Terminmarkt mit Optionsprodukten agieren können, die effektiv den Markt beruhigen.

Das von IFAMD vorgeschlagene Strommarktdesign ist im Kern schon heute die Einführung eines solchen Optionsproduktes, das im Wesen einer Pflichtversicherung für volatile Energie gleicht. Anzubieten sind diese Versicherungen entweder von Speicherkapazitäten oder, solange diese nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, von flexibel steuerbaren konventionellen Kraftwerken, die physisch für den entsprechenden Ausgleich zum volatilen Darbietungsaufkommen der erneuerbaren Energie sorgen können.

Die aussichtsreichste heute bekannte Strom-Speichertechnologie, die ein „100%-Erneuerbare-Szenario“ in absehbarer Zeit realistisch erscheinen lässt, ist das Erzeugen und Wiederverbrennen von Gas. Man spricht von „Windgas“, das bei Überdarbietung von Windenergie chemisch erzeugt und in das Gasnetz eingespeist wird. Um dieses Windgas zu verbrennen und daraus wieder Strom zu erzeugen, benötigt man allerdings: Gasturbinen oder auch Gas- und Dampfkraftwerke (GuD).  Da ein und dieselben Gaskraftwerge auch Erdgas verbrennen, das leider nicht erneuerbar ist, zählen sie nicht zu den erneuerbaren Energien und kommen nicht in den Genuss des Einspeisevorranges oder gar der zugesicherten Vergütung aus dem „Erneuerbare Energien Gesetz“. Ein echtes Dilemma, doch es kommt noch schlimmer.

Das paradoxe an der Marktsituation eines hohen Handelsaufkommens am Spotmarkt ist, dass Energie bzw. Strom sowohl eine extrem vorhersagbare, auf lange Frist sehr gut planbare Nachfrage hat als auch gleichzeitig auf der Angebotsseite die Entwicklung von Kraftwerkprojekten von der Investitionsentscheidung bis zur Inbetriebnahme eine sehr lange Vorlaufzeit von vielen Jahren in Anspruch nimmt. Auf der Nachfrageseite des Endkunden, privat wie kommerziell, besteht zudem durchaus eine hohe Wertschätzung für Planungs- und Versorgungssicherheit. Das alles sind Indizien, die für einen ausgeprägten Terminmarkt sprechen würden.

Die bereits erwähnten extrem niedrigen Grenzkosten bei gleichzeitiger Darbietungsvolatilität der Erneuerbaren Energien bewirken allerdings derzeit ein hohes Handelsaufkommen am Spotmarkt, verbunden mit hohen Chancen aber eben auch Risiken für die handelnden Versorger. In der Spieltheorie nennt man diesen Effekt „Rosinenpicken“. Für Investoren, die sich als potenzielle Betreiber von dringend benötigten GuD Kraftwerken engagieren wollen bedeutet das vor allem Planungsunsicherheit. Es ist heute unmöglich vorauszusagen, wie der Betrieb und die Vergütung von GuD Kraftwerken in zehn und fünfzehn Jahren geregelt sein wird und welche Preise erzielt werden können. Am Spotmarkt, der Stand heute den Strommarkt beherrscht, hat GuD Strom keine Chance gegen z.B. erneuerbare Energie. Also werden heute viel zu wenige GuD-Kraftwerke geplant und gebaut, obwohl diese für ein „100%-Erneuerbare-Szenario“ sehr wertvoll sind. Dies ist eigentlich das bereits erwähnte Dilemma.

Um diesem Dilemma zu begegnen, werden derzeit verschiedene Lösungsansätze für ein besseres Strommarktdesign diskutiert. Die wohl prominentesten Lösungsvorschläge, die international in diversen Märkten zum Teil auch schon erprobt sind, haben wir untersucht und sind zu folgender Einschätzung bzw. Empfehlung gekommen, die hier kurz zusammengefasst wird:

Bei der administrativen Kapazitätszahlung wird den Investoren in dringend benötigte Kraftwerkskapazitäten neben der Energievergütung, die sie am freien Strommarkt erzielen, eine staatliche Subvention für den reinen Aufbau der Kapazität zugesichert. Diese Lösung baut im Wesen auf staatliche Kompetenz, den Energie-Technologie-Mix planerisch festzulegen. Ineffizienzen sind hier vorprogrammiert.

Die vielbeschworenen Kapazitätsauktionen sind bei näherer Betrachtung eine Variante der Kapazitätszahlung, deren Höhe lediglich durch einen Marktmechanismus ermittelt wird: Die Investoren in Kraftwerk-Kapazitäten müssen sich mit Ihrem Bedarf an staatlicher Subvention gegenseitig unterbieten. Die Problematik der staatlichen Entscheidung, wie viel von welcher Technologie benötigt wird, bleibt hier unbenommen bestehen. Die marktwirtschaftliche Idee einer Allokation von Technologien, die sich am freien Markt einstellt, wird hier konterkariert.

Kurzfristig wird der Unterhalt so genannter Strategischer Reserven unverzichtbar sein. Dies sind Kraftwerk-Kapazitäten, die staatlich vorgehalten werden, um in Phasen der Unterversorgung einspringen zu können. Allein die Notwendigkeit für eine solche Maßnahme zeigt, wie ungenügend das aktuelle Strommarktdesign ist. Auch hier ist eine zentrale Kompetenz von Nöten, die über das Volumen der vorzuhaltenden Reserven entscheidet. Auch die Strategische Reserve stellt kein langfristig effizientes Strommarktdesign dar, bei dem sich aus sich heraus der optimale Technologiemix einstellt und dynamisch adaptiert.

Auf Basis der oben ausgeführten Marktbetrachtungen sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass es nur die Belebung des langfristigen Energiehandels sein kann, die eine Allokation der Stromerzeugungstechnologien durch den freien Markt möglich macht. Mit versicherungsartigen Optionsmodellen, so genannten „Absicherungsoptionen“, muss erneuerbare Energie mit konventioneller Energie kombinierbar und damit am Terminmarkt handelbar gemacht werden. Nur wenn ein Investor in GuD-Kraftwerke oder jede andere Kraftwerkstechnologie sicher sein kann, dass er eine wettbewerbsgerechte Chance am langfristigen Terminmarkt nicht gegen sondern mit den erneuerbaren Energien gemeinsam hat, sein Kraftwerk frühzeitig auszulasten, wird er unternehmerisch in das Projekt investieren. Aufgrund der niedrigen Grenzkosten der erneuerbaren Energien werden sich diese auch am Terminmarkt durchsetzen. Gemeinsam mit ihren „Enablern am Terminmarkt“, z.B. den GuD-Kraftwerken, wird sich ein technisch möglicher Technologie-Mix einstellen. Ob und wie viel z.B. GuD Technologie genau dazu benötigt wird, das kann einmalig und im dynamischen Verlauf nur der Markt beantworten.

Wie eine solche Absicherungsoption aussehen kann und wie sie wirkt, lässt sich am eindrucksvollsten an der kleinen Geschichte vom „Bäcker und der guten Fee“ erklären. In dieser Geschichte nimmt der Bäcker die Rolle von konventionellen Kraftwerken und die gute Fee die Rolle der Erneuerbaren Energie ein:

Der Bäcker und die gute Fee

In einem kleinen Ort kauft ein Verbraucher jeden Tag eine Semmel für je 1 €, d.h. er gibt im Monat 30 € für seine Semmeln aus. Der Bäcker am Ort hat (heruntergebrochen auf den einzelnen Kunden) 10 € Fixkosten im Monat sowie   40 Cent Grenzkosten je Semmel. Daraus ergibt sich seine Profitabilität: 30 €     Umsatz abzgl. 22 € Kosten = 8 € Gewinn in Monat. Für den Bäcker und für den Verbraucher ist dies ein stabiler Zustand.

Eines Tages erscheint eine gute Fee in dem kleinen Ort. Sie kann immer dann, wenn die Sonne scheint, Semmeln verschenken, ganz ohne selbst Fixkosten zu haben. Die Sonnenwahrscheinlichkeit beträgt in diesem Sommer in dem kleinen Ort p = 50%.

Wenn die Fee alle ihre Semmeln an die Verbraucher verschenkt, bleiben dem Bäcker pro Verbraucher 15 € Umsatz bei 16 € Kosten, womit er Verlust machen würde und folglich die Bäckerei schließen müsste. Am Ende hätte der Verbraucher viel Geld gespart aber nur noch an 15 Tagen im Monat eine Semmel. Die betreffenden Tage wären nur kurzfristig vorhersagbar.

Koordinieren sich der Bäcker und die Fee jedoch, bevor die Fee dem Verbraucher die Semmeln schenkt, können sich beide vor Beginn des Monats über den ganzen Monat unterhalten (=Terminmarkt). Gemeinsam können sie dem Verbraucher eine Semmel an jedem Tag des Monats anbieten, wobei monatliche Kosten von 16 € anfallen. Dem gegenüber steht per se immer noch die Zahlungsbereitschaft des Verbrauchers von 30 € im Monat. Ein „Kuchen“ von 14 € ist zwischen Bäcker, Fee und Verbraucher entstanden.

Für die Aufteilung dieses Kuchens ist zuallererst zu entscheiden, ob die „gute Fee“ eine solche bleiben und keine Bezahlungsansprüche stellen, oder ob sie nicht doch lieber ihren fairen Anteil am Kuchen reklamieren möchte. Das würde letztlich vieles vereinfachen, denn es würde den Zauberer (=EEG Gesetz) im Hintergrund, der effektiv weitgehend ihre Kosten übernommen hat, bestenfalls sogar überflüssig machen. Das spieltheoretische Lösungskonzept PARTS1 würde der Fee einen „Added Value“ von 6 € zusprechen, da sie den Kuchen um diesen Betrag vergrößert hat.

Wenn allerdings die gute Fee die Semmeln „unreflektiert“ dem Verbraucher schenkt, ohne sich mit dem Bäcker zu koordinieren, zerstört sie das Geschäftsmodell des Bäckers und damit auch die Versorgungssicherheit für den Verbraucher. Der Bäcker kann zwar mit höheren Preisen in Zeiten „schlechten Wetters“ seine Kostendeckung retten. Die Unsicherheit jedoch, an wie vielen Tagen er seine Chance bekommt und welchen Preis er dann „am Spotmarkt“ wird durchsetzen können, führt heute, um den Bogen zurück zu Kraftwerksinvestoren zu spannen, zur Absage vieler GuD Kraftwerkprojekte.2

Die Grundidee des von IFAMD vorgeschlagenen Strommarktdesigns ist es nun, für erneuerbare Energien eine frühzeitige Vermarktung am Terminmarkt nicht nur theoretisch zu ermöglichen (dies ist schon heute der Fall), sondern diese auch durch die verpflichtete Kombination mit Absicherungsoptionen auch (versorgungs-)sicher zu machen. Die Nachfrage nach Absicherungsoptionen wird dann zum lukrativen Markt für GuD Kraftwerke bzw. später einmal für Speicherkapazitäten. Die vieldiskutierte EEG-Umlage, mit der erneuerbare Energien noch viele Jahre gestützt werden, kann in diesem Szenario eine neue Rolle bekommen: Anstatt wie bisher auf Erzeugerseite den Wettbewerb zu verzerren, schlagen wir vor, diese für eine Nachfragestimulation für erneuerbare Energie am Terminmarkt einzusetzen. Je langfristiger am Terminmarkt erneuerbare Energie nachgefragt wird, desto höher sollte eine Zuzahlung für den Nachfrager sein.

Dr. Gregor Berz
IFAMD


1 Nach A. M. Brandenburger, B. J. Nalebuff, Co-opetition, Currency Doubleday, 1996: P = Player, A = Added Value, R = Rules, T = Tactics, S = Space

2 Anmerkung Mai 2015: Die Entwicklung des Energiemarktes hin zur Dominanz des Spotmarktes kann als marktwirtschaftlich natürlicher Effekt verstanden werden. Absicherungsoptionen als Terminmarktprodukte, wie wir sie hier diskutieren, sind an sich keine neue Idee. Vielmehr werden genau diese mehr und mehr vom Markt verdrängt weil sie nicht lukrativ sind im Vergleich zum Spotmarkt. Dies darf jedoch nicht als Argument gegen den Terminmarkt verstanden werden sondern stellt vielmehr genau den Kern des Problems dar. Der Terminmarkt stellt einen genauso freien Markt dar wie der Spotmarkt – der Regulierer ist allerdings gefragt zu entscheiden, welcher dieser freien Märkte derjenige ist, der sich zur Steuerung des komplexen Systems Stromnetz mit all seinen Sensibilitäten bis hin zum Blackout-Risiko besser eignet. Es ist unumkehrbare Tatsache und breiter politischer Wille, dass die Stromversorgung zukünftig von darbietungsabhängigen, genauer Wetter-abhängigen Technologien dominiert wird. Die hohe Volatilität ihrer Darbietung stellt allerdings ein unübersehbares Problem in der Steuerung des Stromnetzes – also in der Betriebsentscheidung aller einzelnen zu Verfügung stehenden Kraftwerke – dar. In Zeiten immer besser werdender Wettervorhersagen wäre es ein Rückschritt, bei der Steuerung des Stromnetzes auf den Spotmarkt zurückzugreifen, der aus Sicht des Stromnetzes nur ein Sekundäreffekt ist. Anders ausgedrückt: Wenn das Absicherungskraftwerk erst einschaltet weil der Strompreis gestiegen ist weil der Wind nachgelassen hat, dann ist das schlicht zu spät, um eine seriöse Systemstabilität zu gewährleisten. Heutige Investitionsentscheidungen für bzw. eher gegen steuerbare Kraftwerkstechnologien wie GuD kann als Marktsignal verstanden werden, wie sehr bzw. wie wenig an ein spotmarktgesteuertes Stromnetz geglaubt wird.