IFAMD Marktbemerkung 2016.09

Quo Vadis Spieltheorie im Einkauf ?

Seit über zehn Jahren hat sich im deutschsprachigen Raum die Spieltheorie als ernst zu nehmende Methode zur Entwicklung von Verhandlungs- und Vergabestrategien des Industriegütergeschäfts etabliert. Während seriöse Spieltheorie auf jede denkbare Markt- bzw. Wettbewerbssituation eine optimale Antwort findet – auch wenn sie in ggf. schwachen Verhandlungssituationen oft nur genau dies schonungslos offenbart – finden sich mehr und mehr „Spieler“ im Markt, die unter dem Begriff der Spieltheorie immer wieder Neues versuchen, allerdings oft nur getrieben davon, als (externer oder interner) Berater ständig innovativ sein zu müssen.

Das Institut für Angewandtes Mechanism Design stellt hier zehn Grundsätze zur Diskussion, die eingehalten werden sollten, um sich seriös auf die Anwendung von „Spieltheorie im Einkauf“ zu berufen.

Zum Verständnis der einschlägigen Verhandlungs- und Auktionsformen, die sich für die Anwendung in Industriegüterverhandlungen eignen sowie deren Wirkungsweisen möchten wir gleich zu Beginn dieses Essays auf das Buch „Spieltheoretische Verhandlungs- und Auktionsstrategien“ von Gregor Berz verweisen, das 2007 im Schäffer-Poeschel Verlag, 2014 in zweiter Auflage eben dort und 2015 als englische Version unter dem Titel „Game Theory Bargaining and Auction Strategies“ im Palgrave McMillan Verlag erschienen ist. Das Institut für Angewandtes Mechanism Design beschäftigt sich als Beratungsunternehmen seit 2006 mit der Anwendung von Spieltheorie im Einkauf und Vertrieb bei namhaften Industriekunden. Als Aushängeschild können wir offiziell auf unsere Unterstützung der Fußball Bundesliga in den beiden letzten Ausschreibungsperioden der Bewegtbilderrechte verweisen, ein Milliardengeschäft mit hoher Emotion und öffentlicher Aufmerksamkeit. Parallel durften wir in den vergangenen Jahren neben diversen privatwirtschaftlichen Konzernen auch einen großen Kunden beraten, der dem öffentlichen Vergaberecht unterliegt. Hier konnten wir weitreichende Erfahrungen zum Zusammenwirken zwischen Spieltheorie und Vergaberecht sammeln.

Vor diesem Hintergrund fühlen wir uns heute berufen, im Rahmen der auf unserer Website www.ifamd.deveröffentlichten „Marktbemerkungen“ diesmal von Beobachtungen zum eigenenMarkt zu berichten, nämlich über die Anwendung von Spieltheorie im Einkauf – im privatwirtschaftlichen Bereich und im Kontext des öffentlichen Vergaberechtes.

Schon zu Beginn der Entwicklung der Methode vor über zehn Jahren haben sich eine Hand voll spieltheoretisch motivierter Grundregeln herauskristallisiert, deren Einhaltung Voraussetzung ist für die erfolgsmaximierende Anwendung spieltheoretisch optimierter Verhandlungsmechanismen (seien es Auktionen oder sequenzielle Verhandlungsprozesse). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die konsequente Anwendung eines Bonussystems und die interne Verbindlichkeit, das von einem Verhandlungsmechanismus gefundene Ergebnis auch wirklich als Lieferantenentscheidung umzusetzen (Stichwort Auction vs. Bidding). Das Bonussystem macht die Entscheidungsalternativen (also die Angebote der Bieter) vergleichbar, berücksichtigt anstelle des Preises das Preis-Leistungsverhältnis inklusive aller entscheidungsrelevanter Eigenschaften und maximiert so die Preissensitivität des Kunden. Erst damit ist Entscheidungsverbindlichkeit möglich, die am besten durch einen mit allen Bietern geschlossenen Vergabe- (bzw. Auktions-) vertrag transportiert wird, der auch den Einkäufer rechtlich bindet an die Einhaltung des von ihm kommunizierten Verhandlungsprozesses. Die Einhaltung dieser elementaren Regeln haben wir als Kriterien des IFAMD Zertifikats für Vertragsvergabenseit Jahren etabliert und nutzen dies als „hart-aber-fair-Signal“ bei unseren Kunden, gegenüber deren Lieferanten.

In den vergangenen Jahren haben sich nun als Begleiterscheinung der zunehmenden Popularität der Methode „Spieltheorie im Einkauf“ einige Anwendungsformen im Markt gezeigt die im vorliegenden Essay kritisch diskutiert werden. Das Ergebnis sind zehn weitere Grundregeln, die eingehalten werden sollten, wenn man sich seriös auf die Anwendung von Spieltheorie im Einkauf beruft. Diese auch explizit in unser IFAMD Zertifikat aufzunehmen halten wir für redundant, werden sie doch implizit ohnehin bereits abgedeckt:

Regel 1: Kein Bonussystem ohne die individuelle Summe jedem Bieter zu nennen

Als Berater auf der Bieterseite industrieller Vertragsvergaben sind uns schon seit vielen Jahren vor allem in der Automobilindustrie immer wieder Lieferantenkommunikationen begegnet, die zwar das Bonussystem methodisch sauber erklären, dann aber mit welcher Argumentation auch immer unserem Mandanten keine explizite Ausprägung seiner Boni und Mali nannten, weder für einzelne Kriterien noch in Summe. Eine ebenfalls mehrfach gesehene, besonders subtile Variante ist, ausgerechnet unserem Mandanten als explizite Ausprägung die ganz große Null als Summe aller Boni und Mali zu nennen. Die Argumentation dafür ist meist, genau er sei der strategische Partner bzw. der Wunschlieferant und alle Wettbewerber würden relativ zu ihm bewertet.

Der mindestens psychologische Effekt einer solchen Lieferantenkommunikation ist, betreffend der Wirkung die eigentlich mit dem Bonussystem erzielt werden soll, fatal: Von einer Evidenz der Preissensitivität des Kunden kann keine Rede mehr sein. Die Methode wird unglaubwürdig und die Seriosität wird vom Lieferanten in Frage gestellt. Dies wirkt nicht nur auf die Methode Bonussystem sondern wird in der Wahrnehmung und der Bewertung seitens des Lieferanten ganz schnell auf die ganze Spieltheorie verallgemeinert. Deshalb raten wir dringend davon ab im Kontext einer „Spieltheoretischen Vergabe“ das Bonussystem intransparent zu halten.

Allerdings lässt sich diese Empfehlung nur im privatwirtschaftlichen Kontext konsequent umsetzen. Im Rahmen des öffentlichen Vergaberechtes besteht latent immer ein gewisses Risiko der Rüge seitens eines Lieferanten, der sich ungerecht behandelt fühlt. Deshalb wird hier meist davon abgesehen, die Bewertungen transparent zu machen – zumal ironischer Weise das Vergaberecht trotz Transparenzgebotgerade die Nennung der Bewertungen selbst nicht fordert.

Regel 2: Keine Auktion ohne Auktionsvertrag

Eine ebenfalls in der Automobilindustrie inzwischen häufig gelebte Praxis ist es, die Unterschriften gewisser interner Stakeholder oder Entscheidungsträger auf Powerpoint-Folien der Lieferantenkommunikation zu kopieren um damit die Verbindlichkeit zu dokumentieren, mit der man sich an den kommunizierten Verhandlungs- und Entscheidungsprozess halten möchte. Diese Form, Verbindlichkeit zu transportieren, ist sicherlich besser als gar keine. Fakt ist allerdings auch, dass keine „unterschriebene“ Powerpoint-Präsentation irgendeine juristisch bindende Wirkung entfaltet. Als IFAMD konnten wir bereits, wiederum als Berater auf der Bieterseite, mit geeigneten Gegenmaßnahmen erfolgreich Auktionen abwenden die zuvor mit solch einer „unterschriebenen“ Lieferantenkommunikation angekündigt wurden. Dies ist selbstverständlich nicht immer möglich, kann jedoch als ziemlicher Sieg gefeiert werden, wenn es gelingt. Bei Vorlage eines juristisch bindenden Auktionsvertrages, der im Zweifel mit diversen Wettbewerbern bereits abgeschlossen wurde, sind solche Gegenmaßnahmen des Lieferanten hingegen meist wirkungslos.

Zugegebenermaßen sind Auktionsverträge allerdings nicht in allen Vergaben wirklich zielführend. Immer dann nämlich, wenn zwar mehrere Alternativen zur Wahl stehen, diese aber tendenziell als kollusiv einzuschätzen sind, d.h. wenn sich Lieferanten im Zweifel lieber gar nicht um ein Geschäft bewerben als sich irgendwelchen Regeln zu unterwerfen. Dann sollte vor allem kein simultaner Verhandlungs- und Entscheidungsmechanismus (Auktion) herangezogen werden, sondern eher ein sequenzieller Prozess, mit dem man das kollusive Verhalten gezielt adressieren und aufbrechen kann. Einen solchen sequenziellen Prozess bereits als verbindlich festgelegten Prozess in einen Vergabevertrag zu gießen ist beliebig schwierig. Noch schwieriger ist es, diesen von kollusiven Lieferanten unterzeichnet zu bekommen. In diesen Fällen ist rein methodisch meist von einem Vergabevertrag abzusehen – deshalb empfehlen wir stringent immer dann einen „Auktionsvertrag“, wenn eine Auktion als Kern des spieltheoretisch optimierten Verhandlungs- und Entscheidungsmechanismus möglich ist.

Regel 3: Keine Dynamische Englische Auktion – besser Englische Ticker-Auktionen

In der Welt der elektronischen Auktionsplattformen, die für industrielle Vertragsvergaben verwendet werden, ist bis heute die Dynamische Englische Auktion am häufigsten anzutreffen. Vor allem die Varianten der sogenannten „Rang-Auktion“, bei der dem einzelnen Bieter der eigene Rang im Vergleich zu anderen Bietern genannt wird und die „Ampel-Auktion“, bei der anstelle des Ranges sogar nur eine Ampelfarbe gezeigt wird (was auch immer die Farben dabei genau bedeuten mögen), erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit bei industriellen Einkäufern. Sicherlich hat es seinen Charme, einem führenden Lieferanten nur seinen Rang zu nennen, wenn nicht zu erkennen gegeben werden soll, wie weit die Preise der Wettbewerber von seinem eigenen entfernt liegen. Dann stellt sich spieltheoretisch allerdings eher die Frage, ob eine Englische Auktion überhaupt die richtige Wahl in dieser Wettbewerbssituation ist.

Die zahlreichen Vorzüge der Englischen Tickerauktion sind im eingangs erwähnten Buch bereits erschöpfend beschrieben und sollen hier nicht nochmals alle wiederholt werden. Lassen Sie uns hier nur kurz herausstellen, dass eine Reduktion des Angebotspreises aufgrund des Marktsignals einer Englischen Auktion innerhalb weniger Stunden für die meisten Anbieter nicht seriös möglich ist. Deshalb sollte sich eine Englische Auktion immer bewusst über mehrere Tage, wenn nicht sogar Wochen erstrecken. Allein dies zu steuern ist für den Auktionator nur mit einer Tickerauktion möglich.

Im Rahmen dieser Marktbemerkung ist noch zu erwähnen, dass wir als IFAMD in über zehn Jahren Auktionsberatung keine einzige Dynamische Englische Auktion durchgeführt haben. In Situationen mit mehreren Losen, die eine gewisse Herausforderung der Kombinatorik insbesondere für Englische Auktionen bergen, ist es uns bisher noch immer gelungen mit Hilfe eines so genannten Pricepatterns Englische Auktionen effektiv in der Form von Tickerauktionen durchzuführen.

Erlauben Sie uns an dieser Stelle auch noch eine Bemerkung zur Nomenklatur, die sich inzwischen im Markt etabliert hat: Diverse Anbieter elektronischer Auktionsplattformen nennen die Englische Tickerauktion die „Japanische Auktion“. Diese Bezeichnung ist redundant, denn auktionstheoretisch handelt es sich bei der Englischen Tickerauktion nun einmal um eine Englische Auktion – im Ergebnis sehr viel präziser als zum Beispiel eine Rang- oder eine Ampelauktion.

Regel 4: Keine Hongkong Auktion mit einem Sieger

Als wir diese Verhandlungsregel das erste Mal gesehen haben, mussten wir mehrfach nachfragen, ob das wirklich so zu verstehen ist: Es werden alle Lieferanten in ein Hotel eingeladen und jeder in einen separaten Raum gesetzt. Alle Viertelstunde wird ein Angebotsblatt hereingereicht mit einem Preisniveau, das zu bestätigen ist. Das Preisniveau sinkt von Viertelstunde zu Viertelstunde und der Prozess endet, wenn nicht mehr bestätigt wird. Soweit ist auf den ersten Blick alles exakt so beschrieben, wie auch wir es für Englische Tickerauktionen durchführen. Hier aber gab es einen kleinen, alles entscheidenden Unterschied: Während in einer Englischen Tickerauktion bei Hereinreichen eines Angebotsblattes immer auch die Information fließt, ob andere Bieter den Schritt zuvor bestätigt haben, bekam hier der Lieferant keinerlei Feedback über den Wettbewerb. Damit ist das keineEnglische Tickerauktion. Dieser Prozess war noch vor wenigen Jahren geradezu ein Standardvergabeverfahren im Stuttgarter Raum – zumindest ist er uns mehrfach auf der Bieterseite begegnet.

Bevor wir das Verfahren diskutieren, lassen Sie uns hier kurz auf die Hongkong-Auktion eingehen, die wieder ausführlich im oben erwähnten Buch beschrieben ist: Für diese in der Abwicklung der Englischen Auktion wie ein Zwillingsbruder gleichende Tickerauktion ergibt der eigenständige Namen durchaus Sinn, denn es handelt sich weder um eine Erstpreis- noch um eine Zweitpreis-Auktion. Der wiederum kleine aber alles entscheidende Unterschied ist hier, dass nicht nur der letzte im Bestätigungsprozess verbleibende Bieter als Gewinner aus dem Ticker hervorgeht, sondern auch derjenige Bieter, der als letztes aus der Bestätigungskette aussteigt. Am Ende gewinnen also zwei Bieter: Der Letzte und der Vorletzte. Man kann das Verfahren leicht auf die Identifikation von n Gewinnern verallgemeinern: Wie eine Englische Auktion mit n-1 Gewinnern endet es, wenn nur noch n-1 Bieter bestätigen. Der letzte Aussteigende Bieter zählt dann aber auch noch zu den Gewinnern. Auktionstheoretisch entspricht dieses Verfahren (abgesehen vom Marktpreis-bildenden Effekt der Abwicklung durch einen Ticker) einer Mehreinheiten-Einheitspreis-Auktion, bei der nicht etwa der beste Verlierer den Preis für alle Gewinner bestimmt (wie es nach der reinen Vickrey-Logik der Fall wäre), sondern der schlechteste Gewinner. Bei Durchführung als Tickerauktion, also der Hongkong Auktion, ist das der letzte Bieter, der ausgestiegen ist (ok, die anderen Gewinner haben einen Tick tiefer noch bestätigt, aber davon muss man in dieser Betrachtung differenzieren – ideell sind die Tickerschritte infinitesimal klein).

Der oben beschriebene Prozess kann nun als Hongkong Auktion in ihrer Verallgemeinerung auf n = 1, also mit einem Sieger, verstanden werden. Auktionstheoretisch ergibt das aber keinen echten Sinn, denn der Prozess entspricht schlicht einer einfachen Verdeckten Erstpreisauktion („First Price Sealed Bid“), da die Bieter ohnehin keinerlei Feedback aus dem Markt erhalten. Die komplette Veranstaltung verkommt zur rein psychologischen Druckmacherei, die man beim besten Willen nicht mehr als „Marktpreis-bildenden Effekt einer Tickerauktion“ bezeichnen kann. Das ist – Entschuldigung – keine seriöse Preisbildung im Industriegüterbereich.

Regel 5: Keine „Informationsoption“ oder andere fragwürdige „Privilegien“

In letzter Zeit begegnen uns immer wieder Auktionsregeln, in welchen den Bietern Gelegenheit gegeben wird, durch eine individuelle Preisreduktion während der Auktion etwas zu „kaufen“, das Einfluss auf das eigene Potenzial in der Auktion hat. Dabei kann es sich zum Beispiel um ausgesuchte Information über die Position des Wettbewerbs in der Auktion handeln, einfach um eine „Auszeit“ während der Auktion, um irgendeine Option im Kontext ganz anderen Geschäfts (mit dem gleichen Kunden versteht sich), oder um was auch immer – der Phantasie mutmaßlicher Spieltheoretiker scheinen hier keine Grenzen gesetzt zu sein.

Nehmen wir den Fall der Informationsoption: Der Auktionator sollte doch selbst am besten wissen, wem er Marktinformationen (z.B. das Preisniveau der Wettbewerber) querspielen möchte oder nicht. Die Preistransparenz in einer Auktion der Zahlungsbereitschaft eines Bieters zu überlassen ist mindestens extrem diskutabel. Man macht damit systematisch den Bieter, der vermutlich ohnehin die bessere Kostenposition hat (sonst wäre er nicht auch noch bereit, für Information zu bezahlen) noch stärker als seine Wettbewerber, die sich die Information nicht leisten können. Diese Wettbewerbsverzerrung ist schlicht systematisch zum Nachteil des Auktionators.

Bei all diesen Optionen oder Privilegien stellt sich immer die gleiche Frage: Warum diese nicht mit den klassischen Mechanismen der Auktions- und Verhandlungstheorie behandelt werden. Nicht, dass wir als IFAMD nicht auch gewillt wären, gute Ideen von anderen zu übernehmen und selbst auch anzuwenden. Auf der Auktionsdesigner-Seite ist uns allerdings noch keine einzige Situation begegnet, bei der uns diese Option des „Privilegien-kaufens“ als Lösung in den Sinn gekommen wäre. Und nur, um irgendetwas Neues zu probieren, werden wir als IFAMD es garantiert nicht anwenden. Meine Empfehlung (an Auktionsdesigner): Finger weg davon.

Regel 6: Keine Holländische Auktion mit einem Bieter

Das ist ein ganz altes Thema, das der Vollständigkeit halber hier auch erwähnt werden soll: Wir werden immer wieder gefragt, ob man eine Holländische Auktion ansetzen sollte, wenn man schon weiß, dass nur ein Bieter als Teilnehmer in Frage kommt. In der Tat ist die Frage legitim: Man kann doch einen Monopolisten, solange er nicht weiß, dass er einer ist, auch ohne Bedenken zu einer Verdeckten Erstpreisauktion einladen. Schließlich handelt es sich dabei nur um eine Angebotsabgabe, zu der man ihn auf jeden Fall irgendwie auffordern muss, wenn man mit ihm ins Geschäft kommen will. Selbst ein Monopolist der weiß, dass er einer ist wird irgendwann zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Warum also nicht auch im Rahmen einer Holländischen Auktion?

Nun, wenn der Bieter weiß, dass er Monopolist ist, dann würde er die Auktion natürlich ad absurdum führen und einfach den höchsten Preis abwarten, der irgendwann erreicht wird. Das ergibt einfach keinen Sinn. Wenn der Bieter nun nicht weiß, dass er alleine ist, dann hat die Holländische Auktion immerhin den Effekt, dass er sich Wettbewerb ausgesetzt fühlt und er ggf. früher bestätigt als den Preis, den er in einem konventionellen Angebot abgeben würde. In reinen Einmalspielen würde das durchaus Sinn ergeben. Da wir aber typischer Weise in Einkaufsmärkten denselben Lieferanten immer wieder begegnen, besteht das reale Risiko, dass der Bieter auf irgendeinem Wege erfährt, dass er alleine in der Auktion ist oder war. Selbst, wenn er es erst hinterher erfährt, bleibt zumindest ein ziemlich fader Nachgeschmack. Der Effekt wird sein, dass dieser Bieter nie mehr Wettbewerbsdruck in einer Holländischen Auktion verspürt. Unsere Empfehlung ist deshalb seit vielen Jahren: Besser keine Holländische Auktion mit nur einem Bieter, wenn von Anfang an klar ist, dass es nur einen gibt. Gehen allerdings auf dem Weg der Vorbereitung einer Holländischen Auktion Bieter verloren, so dass beim Start der Auktion plötzlich nur noch einer teilnimmt – muss die Auktion natürlich nicht mehr abgesagt werden. Dann heißt es „Augen zu und durch“.

Regel 7: Keine Holländische Auktion mit „Sudden Death“-Logik

Auch das ist eine alte Geschichte: Die Holländische Auktion hat eigentlich den Sinn, dem Bieter die Sicherheit zu geben, dass er bei Abgabe seines Angebots möglichst sicher weiß, dass er das Geschäft erhält. Der Auktionator verspricht sich davon, dass der Bieter einen noch niedrigeren Preis bestätigt, weil er nicht fürchten muss, seinen Preis unnötig offengelegt zu haben. Ideeller weise wären die Tickerschritte infinitesimal klein, der Ticker würde kontinuierlich ansteigen und das Risiko, dass zwei Bieter den gleichen Preis bestätigen, wäre ausgeschlossen. In der Praxis ist das allerdings nicht möglich, man braucht rein abwicklungstechnisch irgendeine Schrittgröße und in jedem Schritt ein Preisniveau, das während eines Zeitintervalls zu bestätigen ist. Also ergibt sich die Problematik, wie damit umzugehen ist, wenn zwei Bieter das gleiche Preisniveau bestätigen.

Manche Auktionsplattformen bieten hier die Möglichkeit, die sogenannte „Sudden Death“ Logik anzuwenden: Der Bieter, der zuerst den Schritt bestätigt – und wenn es Millisekunden sind – erhält den Zuschlag. Davon raten wir ab. Im Kontext industrieller Vertragsvergaben sollte nicht die Fähigkeit „schneller zu bieten“ über eine Auftragsvergabe entscheiden. Vorzuziehen ist die „Full Step“ Logik, nach der alle Bieter das komplette Zeitintervall des Tickerschrittes lang Gelegenheit haben, ihn zu bestätigen, auch wenn er von einem anderen bereits bestätigt wurde. Dabei ist natürlich tunlichst darauf zu achten, dass keinerlei Information darüber, ob bereits jemand bestätigt hat, zwischen den Bietern querfließt. Trotzdem hat diese Variante den Nachteil, dass es nun einmal vorkommen kann, dass zwei Bieter den gleichen Schritt bestätigen. Dann ist zwischen diesen beiden Bietern ein Stechen („Tie-Round“) anzusetzen. Unsere Empfehlung ist hier, wie übrigens auch für jeden absteigenden Ticker (Englisch oder Honkong): Man sollte bei der Wahl der Tickerschrittgröße bewusst abwägen zwischen der einfacheren Abwicklung größerer Schritte einerseits und dem Ideal infinitesimal kleiner Schrittgrößen andererseits.

Regel 8: Keine Lieferantenkommunikation ohne explizite Nennung der Tickerschritte

Das haben wir jetzt in jüngerer Zeit mehrfach erlebt: Da werden Tickerauktionen angekündigt, sei Englisch, Hongkong oder Holländisch, aber die Tickerschritte werden nicht vorab genannt. Die Bieter erfahren die Tickerschritte erst am Tag der Auktion. Die Spieltheorie lebt aber von der Möglichkeit des Bieters, sich auf den Entscheidungsmechanismus einzustellen und sein Verhalten unter den gegebenen Regeln zu optimieren. Das ist nicht möglich, wenn er die Regeln nicht vollständig und frühzeitig kennt – die Tickerschritte sind ein ganz wesentlicher Bestandteil dieser Regeln.

Besonders absurd wird es in Kombination mit einem besonderen „Privileg“, das vor einer Holländischen Auktion zum Kauf angeboten wird. Genau das haben wir von zwei verschiedenen Konzernen der Automobilindustrie in jüngerer Zeit gesehen: Ohne die Tickerschritte zu kennen, darf der Lieferant das „Privileg“ kaufen, in einer Holländischen Auktion „Tie-Breaker“ zu sein. Das heißt, wenn er zusammen mit einem anderen Bieter den gleichen Tickerschritt bestätigt, bedarf es nicht wie oben beschrieben eines Stechens („Tie Round“), sondern der Tie-Breaker ist dann schon der Gewinner. Was wir generell von dieser Privilegien-Kauferei halten, haben wir bereits noch weiter oben beschrieben. Hier wird es deshalb besonders absurd, weil der Wert, Tie-Breaker zu sein ausschließlich davon abhängt, wie groß die Tickerschritte der Holländischen Auktion sind! Also d.h., wenn schon ein Tie-Breaker Privileg angeboten wird, dann bitte wenigstens zusammen mit der Information wie groß die Tickerschritte sein werden.

Regel 9: Keine Spieltheorie unter öffentlichem Vergaberecht in kollusiven Märkten

Die bisherigen acht Empfehlungen sind zwar auf Basis von Beobachtungen im privatwirtschaftlichen Kontext entstanden, können aber auch im öffentlichen Vergaberecht gelesen werden. Des Weiteren beziehen sich die ersten acht Empfehlungen alle auf Auktionen. Dabei handelt es sich aber nur um eine Hälfte der Methode „Spieltheorie im Einkauf“.

Die zweite, vielleicht sogar spannendere Hälfte behandelt kollusive Märkte, in denen keine Auktionen möglich sind. Wir haben dieses Thema bereits weiter oben gestreift. In kollusiven Märkten sind sequenzielle Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse gefragt, um das kollusive Verhalten der Marktteilnehmer adäquat adressieren zu können. Nun hat speziell das öffentliche Vergaberecht aber aus einer sicherlich lauteren Motivation heraus einen sehr tief liegenden Grundsatz, der sich das Gleichbehandlungsgebotnennt. Genau das verbietet jegliche Ungleichbehandlung verschiedener Bieter – in der Konsequenz sind im öffentlichen Vergaberecht damit aber ausschließlich simultane Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse zugelassen. Effektiv sind also in allen kollusiven Märkten der Spieltheorie per öffentlichem Vergaberecht die Hände gebunden. Diese Erkenntnis bestätigt sich insbesondere auch bei unserem Kunden, der dem öffentlichen Vergaberecht unterliegt. Im Kontext des öffentlichen Vergaberechtes wenden wir als IFAMD nur in Märkten die wettbewerbsintensiv sind und nicht etwa kollusiv die Spieltheorie zur Ausschreibungsvorbereitung an.

Regel 10: Kein unmotiviertes Verhandlungs- und Auktionsdesign

Abschließend möchten wir gerne noch die generelle Beobachtung aufrufen, dass uns immer wieder Auktions- und Verhandlungsdesigns begegnen, die aus unserer Sicht der seriösen spieltheoretischen Herleitung entbehren. Das tückische dabei ist, dass ein und derselbe Mechanismus in einer Wettbewerbssituation als „spieltheoretisch optimiert“ gelten kann, während er in einer anderen Wettbewerbssituation einfach als Verhandlungsdesign nicht passt.  Das macht es für den Laien oft sehr schwer zu entscheiden, ob ein Verhandlungsdesign auf seriöser Spieltheorie basiert oder einfach nur auf zufälligem Herumprobieren des Einkäufers. Jedenfalls sollte allen Einkäufern, die über Spieltheorie im Einkauf nachdenken und darüber reden, bewusst sein, dass nicht die Mechanismen selbst „Spieltheorie sind“ sondern nur die Auswahl des richtigen Mechanismus in einer betreffenden Wettbewerbssituation „spieltheoretisch optimiert“ werden kann – und muss, um der Methode „Spieltheorie im Einkauf gerecht zu werden.

Das IFAMD schreibt sich auf die Fahnen, jeden Auktionsdesign-Vorschlag spieltheoretisch begründen zu können. Für einfache Fälle, d.h. wenn nur ein Gewinner gesucht ist in einem wettbewerbsintensiven (insbesondere nicht kollusiven) Markt und alle Bieter durch ein Bonussystem hinreichend vergleichbar sind, haben wir ein allgemeingültiges Schema entwickelt, nach dem auf Basis dreier objektiver Kriterien jeweils ein Standard-Auktionsdesigns vorgeschlagen wird. Alle drei Kriterien haben zwei mögliche Ausprägungen, deshalb nennen wir dieses Schema den IFAMD Awarding Cube. Auch in komplexeren Fällen mit z.B. mehreren Losen und Gewinnern lässt sich die Denkrichtung des IFAMD Awarding Cubes meist anwenden und entspricht regelmäßig unserer Empfehlung in unseren Kundenprojekten.

Zusammenfassend wollen wir hier nochmal die zehn Grundregeln aufführen, die uns aufgrund unserer Erfahrungswerte der letzten Jahre im deutschsprachigen Industriegütermarkt auf dem Herzen liegen:

1) Kein Bonussystem ohne die individuelle Summe jedem Bieter zu nennen
2) Keine Auktion ohne Auktionsvertrag
3) Keine Dynamische Englische Auktion – besser Englische Ticker-Auktionen
4) Keine Hongkong Auktion mit einem Sieger
5) Keine „Informationsoption“ oder andere fragwürdige „Privilegien“
6) Keine Holländische Auktion mit einem Bieter
7) Keine Holländische Auktion mit „Sudden Death“-Logik
8) Keine Lieferantenkommunikation ohne explizite Nennung der Tickerschritte
9) Keine Spieltheorie unter öffentlichem Vergaberecht in kollusiven Märkten
10) Kein unmotiviertes Verhandlungs- und Auktionsdesign