IFAMD Marktbemerkung 2020.01

Wie E-Mobility, Autonomes Fahren und Car Sharing zusammenspielen

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den aktuellen Megatrends der Automobilindustrie – dem Abschied vom Verbrennungsmotor, dem kollektiven Traum vom komplett automatisierten Fahren und dem modernen Geschäftsmodell von Automobilherstellern, „Anbieter von Mobilität“ zu sein? Auf den ersten Blick sind die drei Trends völlig unabhängig voneinander. Dennoch bedingen sie sich gegenseitig, und bei spieltheoretischer Betrachtung offenbart sich eine verblüffende Erkenntnis

Vom Dieselgate kann man halten was man will, doch die Tage des Verbrennungsmotors sind gezählt. Der Elektromotor mit seinem einfachen Magnet-Anker ist ein Antriebskonzept mit unschlagbaren Vorteilen gegenüber Zylinder, Kolben, Nockenwelle und Getriebe. Der Elektromotor ist um Größenordnungen günstiger in der Herstellung und langlebiger zugleich. Fahrzeuge mit mehr als 500.000 Kilometer Lebensreichweite werden mit Elektromobilität der Normalfall sein. Allein das hat dramatische Auswirkungen auf Umsatz und Marge der ganzen Automobilindustrie.

Selbst wenn sich herumspricht, dass CO2 nicht das einzige Umweltgift ist und dass batteriegetriebene Fahrzeuge auf ihre Art auch Umweltsäue sind, bleibt der Elektromotor das modernere Konzept, um sprichwörtlich die PS auf die Straße zu bringen. Worüber man sich weiterhin wird Gedanken machen müssen, ist die Form, in der Energie im Fahrzeug gespeichert und wieder freigesetzt wird. Von daher ist es gar nicht der Elektromotor, der den Verbrennungsmotor ersetzt, sondern es ist die Batterie selbst, die an seiner statt für das Freisetzen der chemisch gebundenen Energie zuständig ist. Ob es dabei auch dritte Alternativen gibt und ob diese vielleicht die einzig zukunftstaugliche Hoffnung sind – Stichwort Wasserstoff-Brennstoffzelle –, darauf wollen wir in diesem Artikel nicht näher eingehen. Wir wollen hier zugegeben stark vereinfachend annehmen, dass mit Elektromotoren angetriebene Fahrzeuge aufgrund ihrer Emissionsfreiheit aus Sicht der Umwelt vorzuziehen sind. Der „Spieler“ im Sinn der spieltheoretischen Analyse, dem wir Handlungsoptionen und Auszahlungen zuordnen wollen, ist sozusagen die Umwelt selbst, oder wenn man so will, der „politische Wille“, die Umwelt zu schützen: Die Handlungsoption ist der Wechsel zur Elektromobilität versus konventionelle Verbrennungsmotoren, und die positive Auszahlung ist die Emissionsfreiheit – ganz holzschnitzartig.

Der zweite Spieler ist der Verbraucher. Wenn man manche Leute heute hört, dann könnte man glauben, schon in absehbarer Zeit würden auf unseren Straßen nur noch automatische Roboterfahrzeuge umherfahren und alle Probleme seien gelöst: Keine Staus, keine Unfälle, Fahren ohne Führerschein, und die Zeit der Fahrt kann auch noch genutzt werden für E-Mails oder zum Schlafen. Kaum jemand, der das nicht toll findet und nicht für sich in Anspruch nehmen möchte. Darüber, welche Auswirkungen ein solches Szenario auf unsere täglichen Begegnungen auf der Straße und damit letztlich auf die ganze Gesellschaft haben wird, haben wir schon vor zwei Jahren in unserer Marktbemerkung „12/2017 – Wie man den Traum vom automatisierten Fahren differenziert bedienen kann“ angefangen nachzudenken. In der hier vorliegenden Betrachtung wollen wir nur – wieder ganz holzschnitzartig – den Wunsch nach der Verwirklichung automatisierten Fahrens als Handlungsoption des Spielers „Verbraucher“ behandeln. Am Ende wird seine Zahlungsbereitschaft für diese Funktionalität noch höher sein als die enormen Entwicklungsinvestitionen, die zur Umsetzung notwendig sind – das scheint zumindest die Annahme der Marketingstrategen der Automobilindustrie zu sein, die heute allenthalben darauf setzen. Ob es sich dabei um die Realisierung eines Produktes im Sinne der make-and-sell oder der sense-and-response Strategie – nach dem Marketingguru Philip Kotler – handelt, erscheint als eine akademische Henne-oder-Ei-Frage. Als Auszahlung im Sinne der spieltheoretischen Analyse werden wir dem Verbraucher einen leicht positiven Wert bei Umsetzung der Funktionalität zuweisen, da seine Wertschätzung dafür seine Zahlungsbereitschaft offensichtlich übersteigt – das steckt geradezu in der Zahlungsbereitschaft inhärent. Ob die Funktionalität allerdings wirklich nur dann umgesetzt wird, wenn ihre Kosten geringer sind als die Zahlungsbereitschaft, oder ob es da noch einen dritten Effekt gibt? Warten wir dazu unsere spieltheoretische Analyse ab.

Der dritte Spieler ist schließlich die Automobilindustrie selbst. Während die Frage nach der Funktionalität des autonomen Fahrens auf den ersten Blick noch eine reine Frage der Marketingstrategie ist – wir fassen hier Produktdefinition wiederum nach Kotler als eine Aufgabe der Marketingstrategie auf – wollen wir die Frage nach der eigenen Mission „Autos bauen und verkaufen“ oder „Mobilitätslösungen suchen und anbieten“ und damit letztlich die Entscheidung über das eigene Geschäftsmodell als aktive Handlungsoption des Spielers „Automobilindustrie“ verstehen. Volkswagen kommuniziert dieses Selbstverständnis inzwischen sehr aktiv und hat sich sogar vom Slogan „Das Auto“ verabschiedet. Auch BMW und Daimler gehen, gemeinsam mit der Plattform Car2Go – inzwischen umbenannt in ShareNow –, einen solchen Weg. Das geht weit hinaus über die ursprüngliche Idee von Fahrgemeinschaften, die am Ende einfach nur gefahrene Kilometer sparen wollen, indem sie ein Fahrzeug gemeinsam nutzen. Die Automobilindustrie will vielmehr dem modernen, jungen Konsumenten entgegenkommen, der gar kein eigenes Auto mehr besitzen will, der aber nicht als Kunde durch die Lappen gehen soll.

Doch wie hängen nun diese drei Spieler jeweils mit ihrer Handlungsoption zusammen? Ist es wirklich ein anzustrebendes Zukunftsszenario, dass E-Autos selbstgesteuert und ausschließlich auf Abruf durch die Gegend fahren, ohne dabei dem Nutzer zu gehören? Nähern wir uns der Situation spieltheoretisch:

Wir haben drei Spieler mit jeweils zwei Handlungsoptionen identifiziert: Der vom Umweltschutz geprägte politische Wille mit den Optionen „Verbrennungsmotor“ oder „Elektromobilität“, der Verbraucher mit „Selbst Fahren“ oder „Autonom Fahren“ und die Automobilindustrie mit „Mobilitätslösung“ oder „Einfach Autos bauen“. In der Kombination aller Optionen ergibt sich ein Würfel mit acht Konstellationen, von denen jede eine gewisse Auszahlung für alle drei Spieler bedeutet.

Für die spieltheoretische Analyse müssen wir uns jetzt daran machen, alle 24 Auszahlungen in irgendeiner Form zu quantifizieren. Dies erfordert eine Vielzahl an diskutablen Annahmen und Berechnungen, die wir hier erdenklich pragmatisch anstellen wollen. Es ist ein Riesenvorteil der Spieltheorie, dass man am Ende für den Erkenntnisgewinn keine exakten absoluten Bewertungen benötigt. Es genügt jeweils der Größenvergleich der betrachteten Auszahlungen. Am wichtigsten sind tatsächlich die Abwägung der einzelnen Spieler zwischen den betreffenden Konstellationen
der beiden Ecken entlang jeder der 12 Kanten des Würfels, bei gleichzeitiger Annahme dass die anderen beiden Spieler – sozusagen ceteris paribus – (vorerst) bei ihren Handlungsoptionen bleiben. Genau diese Überlegungen wollen wir nun anstellen:

Beginnen wir mit der Frage nach der Elektromobilität, die wir schon oben als streng dominante Strategie angedeutet haben: Egal, ob im Kontext von Car Sharing oder nicht und ob der Fahrer nun selbst fährt oder nicht, es soll immer die Emissionsfreiheit als das höchste Gut angesehen werden, was aus Sicht der Umwelt für die Elektromobilität spricht. Wenn wir allerdings innerhalb der beiden Ebenen „Verbrennungsmotoren“ und „Elektromobilität“ die jeweils vier Auszahlungen für die Umwelt vergleichen, die sich mit oder ohne Car Sharing bzw. autonomem Fahren ergeben, dann stellen wir die These auf: Car Sharing alleine, also ohne autonomes Fahren, reduziert gefahrene Kilometer und ist damit umweltfreundlicher als kein Car Sharing. Dieser Effekt ist bei Verbrennungsmotoren ziemlich eingängig. Wir wollen ihn aber auch innerhalb der Ebene „Elektromobilität“ annehmen, da auch emissionsfreie Fahrzeuge auf ihre Art eine Umweltbelastung darstellen – sei es nur der Feinstaub durch Reifenabrieb oder der rein durch Windgeräusche erzeugte Lärm.

Ähnlich verhält es sich mit dem autonomen Fahren, allerdings mit anderem Vorzeichen: Unsere These ist, dass autonomes Fahren den Bedarf an Mobilität steigern wird, da die Barrieren für Mobilität niedriger werden. So richtig extrem wird dieser Effekt dann, wenn autonomes Fahren und Car Sharing Modelle zusammen kommen: Erst mit autonom fahrenden Robotertaxis werden die feuchten Träume aller Verkehrsvisionäre wahr und wir können alle immer und überall auf Knopfdruck (d.h. per Mausklick oder Fingerwischer auf dem Smartphone) uns von A nach B befördern lassen – niederer könnten Eintrittsbarrieren für Mobilitätsnachfrager nicht sein. Dass Car Sharing Modelle den Gesamtverkehr reduzieren, wie es der ursprüngliche Gedanke von Fahrgemeinschaften einmal war, davon kann dann nicht mehr ausgegangen werden. Es mag sein, dass sich das Parkplatzproblem dann löst, weil man sein Fahrzeug nicht mehr immer in seiner Nähe abstellen muss. Dafür fahren dann aber alle Fahrzeuge immer umher, auch leer, was den Grundgedanken der Fahrgemeinschaft ad absurdum führt. Natürlich werden sich Beförderungsnachfragen gegenseitig ergänzen, so dass nicht für jede besetzte Fahrt eine Leerfahrt in entgegengesetzter Richtung nötig ist. Der Faktor, um den sich das Verkehrsaufkommen bei kompletter Abdeckung durch automatisierte Robotertaxis erhöhen wird, ist also vermutlich kleiner 2, aber auch sicher größer 1. Das heißt für die Umwelt, dass dieses Szenario das negativste von den vieren innerhalb jeder der beiden Ebenen „Verbrennungsmotoren“ und „Elektromobilität“ ist.

Die zweite Blickrichtung, in der wir den Würfel betrachten, ist die des Verbrauchers. Auch für ihn wollen wir die Handlungsoption des autonomen Fahrens als streng dominante Strategie annehmen: Egal, ob mit Verbrennungsmotoren oder mit Elektromobilität und auch egal ob mit eigenen Fahrzeugen oder im Rahmen von modernen Mobilitätskonzepten – der Verbraucher will nicht mehr selbst fahren, sondern empfindet es als Zugewinn an Komfort und Sicherheit, automatisch befördert zu werden. Den Vorteil für den Verbraucher bewerten wir allerdings als relativ gering, da er die Entwicklung der neuen Funktionalität in jedem Fall über höhere Preise wird bezahlen müssen. Die Wertschätzung für die Funktionalität, die sich in seiner Zahlungsbereitschaft spiegelt, wird von der Automobilindustrie gerade so weit abgeschöpft werden, dass sich der Verbraucher weiterhin für die Funktionalität entscheidet.

Als für den Verbraucher letztlich neutral betrachten wir die Frage nach den Mobilitätskonzepten. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, denn sind es nicht genau diese Mobilitätskonzepte, die den Verkehr in Zukunft so modern und schick werden lassen? Nun, wir wollen hier die Auszahlung betrachten, die sich für den Verbraucher in Abhängigkeit davon ergibt, ob und wie sein Bedarf, von A nach B transportiert zu werden, befriedigt werden kann. Eine mögliche Präferenz des Verbrauchers für Fahrgemeinschaften aufgrund seines Umweltgewissens wurde bereits in der Dimension „Umwelt“ abgedeckt. Deshalb nehmen wir in einer Welt mit Verbrennungsmotoren – unabhängig davon, ob selbst fahrend oder automatisiert – an, dass es dem Verbraucher unter dem Strich gleichgültig ist, ob er mit dem eigenen Auto von A nach B kommt oder im Rahmen eines wie auch immer gut funktionierenden Mobilitätskonzepts.

Im Rahmen der Elektromobilität sieht das aber anders aus. Wie oben bereits angedeutet, ermöglicht die Elektromobilität durchschlagende Kosteneinsparungen schon in der Herstellung von Fahrzeugen. Umgelegt auf den einzelnen Kilometer wird es noch dramatischer, da die Lebensreichweite der einzelnen Fahrzeuge auch noch steigt. Ob als dritter Effekt auch der reine Betrieb der Fahrzeuge nachhaltig günstiger sein wird als der heutiger Fahrzeuge, wollen wir erst gar nicht reflektieren, denn über zukünftige Strompreise zu mutmaßen, wollen wir uns hier nicht anmaßen. Wir folgen hier aber aufgrund der ersten beiden Effekte der These, dass der einzelne gefahrene Kilometer für Fahrzeugbesitzer in einer Zukunft mit Elektromobilität um Größenordnungen günstiger sein wird als wir es heute von unseren klassischen Verbrennungsmotor-Fahrzeugen kennen. Das ergibt eine Auszahlung, auf die sich Verbraucher wirklich freuen sollten.

Jetzt kommt die Automobilindustrie auf den Plan. Wie man bereits heute in Zeiten des „Dieselgates“ deutlich spürt, stellt die reine Elektromobilität als Alternative eine echte Bedrohung für die Automobilindustrie dar. Nicht nur, dass der Technologiesprung Innovation und Investition erfordert, es werden gleichzeitig weite Teile der Wertschöpfung komplett überflüssig. Der vollständige Wechsel in die Elektromobilität würde einen enormen Aderlass für die Automobilindustrie bedeuten. Der Wechsel in ein neues Selbstverständnis als Mobilitätsanbieter darf vor diesem Hintergrund als Verzweiflungstat verstanden werden. Die Hoffnung ist dabei, den Kostenvorteil aus der Elektromobilität in den eignen Büchern zu behalten: Der Verbraucher ist seit vielen Jahren an einen gewissen Status Quo an Kosten für den einzelnen Kilometer Mobilität gewöhnt, die er in seiner Zahlungsbereitschaft subsummiert. Diese beizubehalten und im Rahmen moderner Mobilitätskonzepte weiterhin abzuschöpfen erkennen wir als Kalkül hinter den transformierten Geschäftsmodellen der Automobilindustrie. Dies gelingt aber nicht, solange sich Car Sharing nur in einzelnen Fahrgemeinschaften umweltbewusster Verbrauchergruppen erschöpft. Es erfordert nicht weniger als die vollständige Automatisierung des Straßenverkehrs, um eine vollständige Abdeckung mit Robotertaxis praktikabel umzusetzen. Erst, wenn alle Fahrten mit einem pro Fahrt georderten Robotertaxi erledigt werden können, wird die vollständige Transformation des Mobilitätskonzepts weg vom individuellen Fahrzeugbesitzer hin zum Geschäftsmodell der reinen Mobilitätsanbieter praktikabel.

Für den Verbraucher bedeutet das, dass in den Szenarien der modernen Mobilitätskonzepte seine alte Zahlungsbereitschaft weiter abgeschöpft wird und er nicht (direkt) teilnimmt am Kostenvorteil der Elektromobilität. Während die spieltheoretische Analyse des Würfels ergibt, dass das Szenario „Elektromobilität mit automatisiertem Fahren im Rahmen moderner Mobilitätskonzepte“ als Nash-Gleichgewicht unausweichlich scheint, sind sowohl für den Verbraucher als auch für die Umwelt die beiden Konstellationen mit konventionellen Fahrzeugbesitzern und Elektromobilität ungleich besser als das Nash Gleichgewicht. Das darf durchaus an ein Gefangenendilemma erinnern, wobei es keines ist: Dafür müsste die dem Nash Gleichgewicht im Raum diagonal gegenüberliegende Ecke für alle drei Spieler attraktiver sein als das Nash Gleichgewicht selbst. Auch ergibt sich in keiner der sechs 2-x-2-Ebenen des Würfels ein Gefangenendilemma unter den betreffenden zwei der drei Spieler. Trotzdem beobachten wir für Umwelt und Verbraucher den Effekt, dass eine andere Konstellation besser wäre als das Nash Gleichgewicht – weil sie beide erst von der Automobilindustrie dazu gebracht werden, das Nash Gleichgewicht als solches zu spielen.

Immerhin verspricht sich die Automobilindustrie, im Szenario des Nash Gleichgewichts gerettet zu werden, worin wir durchaus alle unseren Auszahlungsanteil – als direkt oder indirekt Profiteure der wichtigsten Industrie im Lande – verstehen sollten.

Dr. Gregor Berz

IFAMD GmbH