IFAMD Marktbemerkung 2017.12
Wie man den Traum vom automatisierten Fahren differenziert bedienen kann
Den Individualverkehr zu automatisieren ist ein großes Ziel. Viele denken dabei auch an eine zentrale Steuerung – das jedoch ist ein Widerspruch in sich. Zuvor muss man ihn umbenennen, oder zumindest differenzieren: In echten Individualverkehr einerseits und Transportverkehr andererseits. Während sich der Transportverkehr mit intelligenten Koordinationsmechanismen wird optimieren lassen – ein weites Feld für die Anwendung der Spieltheorie – stellen sich beim Individualverkehr grundsätzliche Fragen der Bewegungsfreiheit in unserer Gesellschaft.
Eine wesentliche Rahmenbedingung der Automatisierung ist, dass eine durchgängige zentrale Koordination des Verkehrs keinerstrebenswertes Ziel in einer freien Gesellschaft sein kann. Oder andersherum: Die Automatisierung des Straßenverkehrs wird sich immer mit der Gegenwart individuell gesteuerter Fahrzeuge koordinieren müssen, für deren Fahrer der „Weg das Ziel“ ist.
Auf unseren Straßen begegnen sich schon heute zwei völlig unterschiedlich motivierte Verkehrsteilnehmer:
Zum einen solche deren übergeordnetes Ziel von A nach B zu kommen bzw. Güter oder Passagiere von A nach B zu transportieren als ausschließliches Ziel gelten kann. Für sie ist der Weg dorthin völlig unerheblich und auch der Fahrer würde jegliche Beschäftigung damit am liebsten komplett ausblenden, Hauptsache er wird nur von A nach B „gebeamt“. Fraglos gehören alle heute üblichen kommerziellen Transporte wie LKWs, Busse, Taxis und in der Regel auch deren Passagiere zu dieser Kategorie.
Zum anderen wird es aber immer Verkehrsteilnehmer geben deren Ziel der Fahrt bei Fahrtantritt noch gar nicht exakt bestimmt ist – ja deren Ziel der Fahrt eventuell bis zum Schluss kein „Ort B“ ist, sondern einfach nur die freie Bewegung mit Hilfe eines Automobils zum Beispiel zur Erkundung der Gegend oder als „Fahrt ins Blaue“. Hildegard Wortmann, Leiterin Markenkommunikation BMW, sagt in einem Interview der Süddeutschen Zeitung über die Mobilität der Zukunft (online erschienen 1. Januar 2018): „Ich möchte während der Fahrt entscheiden, wann es Zeit für ,Füße hoch‘ zum Entspannen ist und wann ich die Straße aktiv erobern möchte“. In diesem Zitat steckt schon ein großes Dilemma der Marke BMW, die noch vor kurzem ganz auf „Freude am Fahren“ gesetzt hatte und sich plötzlich – getrieben von Tesla und ganz im Trend der Branche – dem autonomen Fahren verschreibt. In der Differenzierung zwischen reinem Transportverkehr und dem echten Individualverkehr geht es allerdings um noch mehr: Es geht darum während der Fahrt nach Italien hinter dem Brenner entscheiden zu können, spontan anzuhalten und einen Cappuccino zu genießen.
Man beachte bitte, dass wir hier den althergebrachten Begriff „Individualverkehr“ etwas neu pointiert definieren. Bisher waren damit Fahrzeuge gemeint, deren Fahrer das Ziel der Fahrt frei wählen können, also etwa Autos in Abgrenzung zu Bussen oder auch dem Schienenverkehr. In Zukunft aber werden wir uns an Autos gewöhnen müssen, deren Ziel zu Beginn der Fahrt
gewählt wurde und die dieses Ziel vollautomatisch ansteuern, bis es erreicht wurde. Ist das dann auch Individualverkehr? Wir sind der Meinung, dass man den Begriff in Zeiten vollautomatischer Automobile wird feiner definieren müssen als Fahrzeuge, deren Insasse das Ziel jederzeit korrigieren und neu wählen kann. Merken Sie den Unterschied?
Bevor wir in die Diskussion sinnvoller Ausgestaltungen automatisierten Fahrens für Transportverkehr und Individualverkehr tiefer einsteigen, wollen wir auch auf der Umsetzungsseite zwei Bereiche differenzieren, die im Kontext der Automatisierung des Straßenverkehrs diskutiert werden:
Da ist zum einen die lokale Automatisierung des einzelnen Fahrzeugs die sich in immer besseren Fahrerassistenzsystemen manifestiert. Das hat schon vor Jahrzehnten mit dem Tempomat angefangen, ist spätestens mit dem Abstandhalter auf der Autobahn richtig elegant geworden und spielt sich in unseren Tagen mit Spurhalte-Lenkassistenz und vollautomatischem Einparken über die Distanz ganzer Parkhausetagen ab. Vorstellbar ist hier eigentlich alles, bis hin zur vollständigen Selbstregulierung des Fahrens durch Sensorik und Steuerung des Fahrzeugs. Erlauben Sie mir hier die persönliche Bemerkung dass der Autor dieser Marktbemerkung als Achtjähriger einen naiven Kinderbrief an die „Entwicklungsabteilung von Daimler Benz“ geschrieben hatte mit der Idee, das damals gerade neue entwickelte Prinzip der Anti-Blockier-System (ABS) Bremsen umzudrehen um das Durchdrehen von Rädern im Schnee zu verhindern. Erst Jahre später hat Bosch die Anti-Schlupf-Regelung (ASR) entwickelt, die in den ersten S-Klassen und 7er BMWs zum Einsatz kam und später – ergänzt zum Elektronischen-Stabilitäts-Programm (ESP) – dank Elchtest in der A-Klasse den Durchbruch erfuhr. Der Autor war Anfang Dreißig, als er mit den ersten Mietwagen-A-Klassen trotz viel zu kleiner Räder mit viel Spaß durch Schneematsch pflügte – nur soviel hier zur Leidenschaft am Fahren, die vermutlich nachfolgenden Generation verwehrt bleiben wird. Diese Zwischenbemerkung soll vor allem verhindern, dass die weiter unten geführte Diskussion um Sinnhaftigkeit der vollständigen Automatisierung des Fahrens als falsche Skepsis gegenüber technischen Innovationen per se verstanden wird. Vielmehr wollen wir hier Effekte auf unsere Gesellschaft und die Bewegungsfreiheit jedes Einzelnen differenziert antizipieren – womit wir in gewisser Weise schon Spieltheorie anwenden.